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Walter Kirchschläger, Kleine Einführung in das Neue Testament   

Buch des Monats Juni 2012

Am 23.5.hat Walter Kirchschläger seine Abschiedsvorlesung an der Universität Luzern gehalten. 40 Jahre lang war er in der universitären Lehre rund ums Neue Testament tätig (1973-1982 in Wien und seit 1982 in Luzern). Dabei hat sich natürlich eine Fülle von erprobten und bewährten Lehrmaterialien angesammelt: Schaubilder zur Entstehung der neutestamentlichen Schriften, Übersichtstafeln, tabellarische Zusammenstellungen der Gleichnisse Jesu, Listen von zentralen Begriffen, Fragen zum Verständnis und zum Wiederholen des vorgelegten Lernstoffes, Arbeitsblätter zum Ausfüllen undundund. Seine neu erschienene «Kleine Einführung in das Neue Testament» macht diese Fülle auf 288 Seiten zugänglich.
Kirchschläger stellt sich explizit in die Tradition des II. Vatikanischen Konzils, insbesondere der Offenbarungskonstitution Dei verbum. Sein Vorwort datiert er «am 25. Dezember 2011, dem 50 Jahrestag der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils» (ebd.). Für ihn hat das Konzil, das er im letzten Kapitel seines Buches (»zur Ausleitung» S. 288) noch einmal ganz besonders würdigt, «erstmals in der Theologie- und Kirchengeschichte diese umfassende, alle Phasen des Christusgeschehens umfassende Heilsdimension Jesu Christi in einem lehramtlichen Dokument zur Sprache gebracht und damit die Botschaft des Neuen Testaments in unsere Gegenwart – im Sinne des aggiornamento – verheutigt». Das «Christusgeschehen» ist denn auch die inhaltliche Leitlinie von Kirchschlägers Buch. Er versteht darunter, dass Gott seinen Sohn in die Welt sendet um sie zu retten, woraufhin Menschen in der Welt über die Bedeutung dessen für das Verhältnis von Gott und Mensch reflektieren. Aus diesem Geschehen heraus entsteht das Neue Testament.
Entsprechend diesem Grundansatz stellt Kirchschläger denn auch zuerst die Eigenart des NT als Schriftensammlung vor, führt in verschiedene Textausgaben und Übersetzungen ein und beschreibt die Entstehungsgeschichte (mit vielen ausführlichen Zitaten aus der Antike!). Das Buch bzw. die Bibliothek des NT steht am Anfang. Dem widmet Kirchschläger die Hälfte des Umfangs seines Buches. Daran schliessen sich die Ausführungen über das Wirken Jesu Christi an (Frage nach dem historischen Jesus, Verkündigung der Königsherrschaft Gottes, Wortverkündigung und Handeln). Der Teil schliesst mit der Skizze und den Grenzen eines vorösterlichen Jesusbildes.  Die beiden letzten Kapitel widmen sich dann den Deutungen des Todes und der Auferstehung Jesu, in den Evangelien, in der Urkirche und in der Traditionsbildung der Verkündigung. Hier wird das Christusgeschehen als Ostergeschehen erschlossen.
Schade, dass das Buch nicht den Untertitel «Arbeitsbuch zum Neuen Testament» trägt, denn das ist es wesentlich. Das Inhaltsverzeichnis enthält allein 26mal den Abschnitt «Aufgaben». Dazu kommen «Anregungen zur begleitenden Lektüre», «Begriffe, die Sie erklären können» und die schon genannten «Verständnis- und Widerholungsfragen». Kirchschläger widmet denn sein Buch auch «seinen»  Studierenden in Wien und Luzern. Die Arbeitsanleitungen entsprechen dem universitären Kontext, sind aber grösstenteils z.B. auch im Rahmen der theologiekurse und bei etwas fortgeschritteneren pfarreilichen Bibelgruppen einsetzbar. Ein Beispiel dafür zu den Gleichnissen. Da lauten die Aufgaben:
«-Wählen Sie ein Ihnen bekanntes Gleichnis. Überlegen Sie: Was sagt diese Erzählung über das Wirken Gottes? Was sagt diese Erzählung über Gottes Verhalten gegenüber mir / über mein Verhalten gegenüber Gott?
– Suchen Sie nach gleichnishaften Ausdrucksweisen und nach gleichnishaften Handlungen in Ihrem Alltag. Überlegen Sie: Was wollen Sie damit ausdrücken, was ist die «Botschaft», die Sie mit einem solchen Sprechen oder Handeln vermitteln möchten?» (S. 228)
Dieses Beispiel für die gestellten Aufgaben zeigt Kirchschlägers Anliegen, das gleichsam zwei Brennpunkte hat. Er will einen Zugang zum Neuen Testament eröffnen, «der sowohl der kritischen wissenschaftlichen Reflexion wie auch dem persönlich bedachten Glauben entspricht» (Vorwort S. 7).
Die Stärke des Buches – die Fülle der Arbeitsmaterialien – ist manchmal auch eine Schwäche. Der Erzählfluss, der bei einer «Einführung» zu erwarten ist, wird manchmal allzu oft von Darstellungen (Tabellen, Listen, Bilder…) unterbrochen. Die vielen verschiedenen Formen von Darstellungen erwecken manchmal auch den Eindruck von Unübersichtlichkeit. Kritisch sehe ich zudem, welch geringe Bedeutung dem Alten Testament bzw. der Jüdischen Bibel für das Neue Testament gegeben wird. Bei der Einordnung des Neuen Testamentes und der daran anschliessenden Tradition in den antiken Kontext dominiert die nichtjüdische-hellenistische Antike über die jüdisch-rabbinische. Dahinter steht wohl die Vorstellung, dass sich die christlichen und die jüdischen Wege schon früh getrennt haben, beginnend ab dem Apostelkonzil im Jahr 50 und nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 weitgehend vollzogen, wie es ein Schaubild auf S. 58 zeigt. Das scheint mir in dieser Eindeutigkeit zu früh angesetzt. Ein Schaubild in der kirchschlägerschen Qualität, das die intensiven Auseinandersetzungen und gegenseitigen Beeinflussungen zwischen beiden Strömungen noch über Jahrhunderte hinweg zeigt, wäre noch zu entwerfen und zu ergänzen.
Doch davon abgesehen ist dem Buch zu wünschen, dass es in der Bibelarbeit zum Neuen Testament breite Verwendung findet bzw. dass viele Lehrende die Fülle an Arbeitsdmaterialien nutzen, die Walter Kirchschläger zum Abschluss seiner akademischen Laufbahn dankenswerter Weise bereit stellt.

 

Peter Zürn

Walter Kirchschläger, Kleine Einführung in das Neue Testament, Verlag Katholisches Bibelwerk Stuttgart 2012, 288 S., ISBN 978-3-460-33072-6, Euro 19.90 CHF 24.90

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