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Jan-Henry Wanink, Kanzelamt. Die Predigthilfe am Puls der Zeit. 100 Bibeltexte im Dialog mit Heiden, Christen und Heidenchristen   

Buch des Monats April 2011

Ach wie gut ist es doch zum internationalen Netzwerk des Bibelwerks zu gehören. Zum Beispiel, wenn man die Aufgabe hat das bibelpastorale Buch des Monats April auszuwählen und zu besprechen und sich bis 31. März kein einziges neues Buch so richtig aufgedrängt hat. Dann kommt die neue Ausgabe der Zeitschrift «Bibel und Liturgie in kulturellen Räumen» des Österreichischen katholischen Bibelwerks aus Klosterneuburg auf den Schreibtisch und in der findet sich eine Buchbesprechung von Stefan Silber, die mich auf ein ganz und gar ungewöhnliches bibelpastorales Buch hinweist und die so gehalten ist, dass sie mich motiviert es sofort zu besorgen und zu lesen. Daraus wird die Buchbesprechung, die Sie jetzt gerade lesen und sie übernimmt zunächst die Beschreibung des Buchinhaltes von Stefan Silber:

«Wanink hat die Perikopen der evangelischen Leseordnung wildfremden Personen vorgelegt (oft im Zug) und sie gebeten, kurz ihre Meinung dazu zu sagen ... Manche Perikopen wurden auch Schülerinnen und Schülern vorgelegt. Fast zu jeder Bibelstelle führt Wanink ein Interview mit einem Experten oder einer Expertin, die aus nicht-theologischer Perspektive etwas zum Thema des Bibeltextes zu sagen hatten ... Auch YouTube und die Bildzeitung fehlen nicht. Zahlreiche Texte nichteuropäischer Autorinnen und Autoren öffnen den Blick für die Weite der Welt ... Darüber hinaus kommen auch (teils skurile) Kommentare aus der Geschichte der Kirche nicht zu kurz.»

Wie Stefan Silber schätze ich den Stil des Buches sehr. «Waninks Sprache und sein Umgang mit dem Bibeltext und seiner Wirkungsgeschichte sind häufig von einer Respektlosigkeit geprägt, die selbst wieder eine wohltuende Verfremdung der «heiligen» Texte bewirkt.»

Wie Stefan Silber möchte ich das ausserordentlich gut gegliederte Inhaltsverzeichnis herausstellen, das die Bibelstelle nennt (wobei die Namen der biblischen Bücher ausgeschrieben werden und auch hier Insidersprache vermeidet) und einen gut verständlichen Titel für die Stelle angibt. Das Inhaltsverzeichnis wird ergänzt durch eine Auflistung der Bibelstellen nach der Verwendung als Lesung im Kirchenjahr (der Evangelischen Kirche in Deutschland) sowie durch kleines Themenverzeichnis (von A wie Alkohol bis Z wie Zweifel) und ein ausführliches Personenverzeichnis. So ermöglicht das Buch viele verschiedene Zugriffsmöglichkeiten.

Und schliesslich teile ich auch seine grundsätzliche Bewertung: «Insgesamt kann das Kanzelamt als eine Predigthilfe neben anderen helfen, bei der predigtvorbereitung über den enngen Raum des binnenkirchlichen Milieus hinauszuschauen. Auch wer keine Predigten vorzubereiten hat (oder es nicht darf), kann sich von der Textsammlung zu der Frage inspirieren lassen, was denn die Menschen ausserhalb der Kirchenmauern zum Sonntagsevangelium oder allgemein zu Glaube und Kirche zu sagen haben.»

Schliesslich möchte ich noch ein paar Bemerkungen aus meiner spezifischen Sicht aus dem Schweizer katholischen Bibelwerk anfügen:
Schade, dass das Buch (und offenbar die zugrundeliegende evangelische Leseordnung) nur 11 alttestamentliche Texte enthält. Nur 40 von den 358 Seiten befassen sich mit dem AT.
Dafür finden sich aber – für katholische Leserinnen und Leser wohltuend – relativ viele Texte aus der neutestamentlichen Briefliteratur (26!).
Mich hat vor Beginn der Lektüre am meisten interessiert, was wohl die zufällig im Zug ausgewählten (überwiegend jungen) Leute zu den Texten zu sagen haben. Und dieser Teil des buches hat mich doch eher enttäuscht. Insgesamt nehmen diese Passagen nur einen kleinen Raum ein, sind die Fragen zu allgemein (»Was war dein erster Gedanke?» «Was gefällt dir am Text?»...) und die Antworten oftmals wenig überraschend. So ganz anders als z.B. die Menschen in pfarreilichen Gruppen, denen ich begegne, reagieren die Zugfahrerinnen und Zugfahrer denn auch nicht.
Die Auswahl der Interviewpartner für die Experten- und Expertinnengespräche ist faszinierend und deren Meinung oft sehr erhellend. Allerdings sind sehr viele von ihnen denn doch irgendwie auch theologisch ausgebildet. Aber das ist ja nichts Schlechtes oder gar Verwerfliches.
Für mich besteht eine der produktivsten Leistungen des Buches in den vielfältigen Verweisen auf die Populärkultur, v.a. über Links zu YouTube, etwa bei Kohelet 3 (»Alles hat seine Zeit» zu Pete Seeger und den Puhdys) oder auf die Auseinandersetzung um religiöse Themen im Internet beim Thema «Taufe» (zu Mt 3,13-17). Zu hoffen ist dabei, dass die Mehrzahl der Internetadressen auch mittelfristig noch funktionieren. Meine 5 Stichproben waren jedenfalls alle erfolgreich.
Stefan Silber erwähnt zu Recht positiv die vielen nichteuropäischen Verweise des Buches. Gleichzeitig ist es auch in vielem ein sehr «deutsches» Buch, was den gesellschaftlichen und kirchlichen Kontext angeht, auf den es sich bezieht. das fängt ja schon mit dem Titel an, der in Deutschland natürlich die Assoziation «Kanzleramt» hervorruft

Eine letztes Bemerkung: Nachdem die Schweizerische Bischofskonferenz ja ab 2011 den Dies Judaicus am 2. Fastensonntag neu eingeführt hat, möchte ich noch besonders auf die Seiten des Buches hinweisen, die sich auf die Lesung am Israelsonntag (10. Sonntag nachTrinitatis), Röm 11,25-32 beziehen (282-285). Sie bringen viele Links zum Judentum und mit David H. Stern, Simon Schoon und Jacob Taubes kommen jüdische Autoren bzw. Judaisten zu Wort.

Peter Zürn

Jan-Henry Wanink, Kanzelamt. Die Predigthilfe am Puls der Zeit. 100 Bibeltexte im Dialog mit Heiden, Christen und Heidenchristen, Agenda Verlag Münster 2010, 358 S., Euro 34,80 CHF 49,90 ISBN 978-3-89688-421-3

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