Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Befreiendes Lachen oder Blasphemie?   

Thomas Markus Meier (Diözesanvorstand Basel des SKB) zur subversiven Dimension des Humors im Kontext von Religion – DIAKONIA 38. Jahrgang Heft 4 Juli 2007 S. 261-264

Humor, Witze, Kabarett sind Formen, auf Umwegen die Wahrheit zu sagen, wenn sie geradewegs nicht gehört würde. Das kann gefährlich sein, und es braucht immer genug Selbstironie, um nicht in bitteren Kampf auszuarten.

Samstag vor dem 1. April 2007: Der UNO-Menschenrechtsrat mahnt, Religionen nicht öffentlich zu verunglimpfen. Unterstützt vor allem durch China (wenn wir an Falun Gong und Religionsfreiheit denken, mehr realsatirisch denn humorig) und die muslimische Welt; der Meinungsfreiheit wegen bestritten durch die westlichen Staaten. Und am selben Vortag des 1. Aprils berichtet die Zeitung «Der Bund» in der schweizerischen Bundeshauptstadt Bern über ein geplantes symbolisches Minarett, ohne zugehörige Moschee nota bene. Der Vorschlag des Menschenrechtsrats kein Aprilscherz, die Geschichte mit dem Minarett hingegen schon. Dazu wichtig zu wissen: Über den Bau von Minaretten wird in der Schweiz derzeit hitzigst und emotional debattiert. Mit dem Aprilscherz nun über ein Minarett war kaum eine Diskussion anzustossen, höchstens die Intoleranten auf den Plan zu rufen. Mit dem Aufruf des Menschenrechtsrats wird ein Problem benannt, die anvisierte Lösung jedoch polarisiert just in jene Richtung, die am Problembeginn steht... Darf über Religion gelacht, gespottet werden? Humor und Religion, wie geht das zusammen?

Ob nun «Der Bund» einen Gag publiziert, der sich schlimmstenfalls gegen berechtigte Anliegen einer Minderheitsreligion richtet, oder ob ein dänisches Boulevard-Blatt den sogenannten «Karikaturenstreit» vom Zaune bricht: Beide Male mokieren sich Zeitungsmacher über eine Minderheit. Wer das Sagen hat, hat auch das Spotten. Nicht anders als die seinerzeitige Gegenreaktion des iranischen Regimes mit dem Schoah-Karikaturenwettbewerb. Freilich wurden in Teheran (neben antisemitischen Klischees der bedenklichsten Sorte) auch ein paar ganz wenige Cartoons eingereicht, die subtil über den Missbrauch jeglicher Religion für politische Zwecke nachdenken.

Für mich ist der Hauptunterschied zwischen feiner Ironie, bissigem Witz, köstlichem Humor -und billigster Meinungsmache, blödsinnigem Auslachen und schlichter Blasphemie jener: Geht es um Selbstironie, um Kritik der eigenen Religion – oder um ein Sich-Amüsieren auf Kosten anderer? Meist derer, die eh keine gute Presse haben? Paradebeispiel: Von den subtilsten, feinsten, selbstkritischsten Witzen gehören viele zum Genre des «jüdischen Witzes» oder des «klerikalen Witzes». Hier wird aus einer Minderheitenposition heraus, oder weil andere Gefässe freimütiger Äusserung nur wenige da sind, mit einem Lächeln formuliert, was oft genug zum Weinen ist. Diese Art Humor ist nicht allein ein Gefäss zur Selbstreinigung, oder ein Ventil für Frustrationsabfuhr, sondern ebensosehr subversives Lachen über die – eben bloss scheinbar – Mächtigen. Dieser Humor lacht, wo es zur Zeit nichts zu lachen gibt – denn dieser Humor lebt von der Hoffnung, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, dass die Pointe der Geschichte noch aussteht.

Humor als politischer Widerstand

Diese subversive Dimension des Humors kann politischen Widerstand markieren, oder auch einfach nur verschlüsselt, «durch die Blume», Kritik anhörbar machen. Ich erinnere mich an zwei konkrete Beispiele der letzten zehn / zwanzig Jahre: Wobei Humor als politischer Widerstand beileibe nicht harmlos und ungefährlich ist. Im Iraq des Saddam Hussein gab es eine Uhr, deren Zifferblatt das Konterfei des Diktators schmückte. «Die tickt nicht richtig» beschied eine Frau, auf die Uhr weisend, wobei im Arabischen beides hörbar war: Dass die Uhr falsch liefe, oder mit dem Diktator etwas nicht stimmte. Diese Doppeldeutigkeit kostete der Frau das Leben. Humor als politischer Widerstand ist also mitnichten eine billige Ausflucht, wenn Klartext zu bedrohlich sein sollte. Und wo Regimes nicht über sich selbst lachen können, wird der Humor der Unterdrückten besser nur der Psychohygiene dienen, wenn nicht Zeugnisgeben wortmässig zum Martyrium führen soll. Wo Kritik zwar erlaubt, aber ungern gehört ist, kann der Humor hingegen ein Weg sein, auf Umwegen das zu sagen, was direkt gesagt die Ohren der Adressaten verschlösse. Noch zu Zeiten der DDR brachte der deutschsprachige Sender von Radio Vatikan ein Interview mit Priesteramtskandidaten aus dem Seminar in Erfurt. Auf die Frage, welche Wünsche sie für die Zukunft der Kirche hätten, erzählten die jungen Männer, wie gerne sie sängen. Und dass sie sich wünschten, im Seminar dereinst in einem gemischten Chor zu singen. Ich vermute doch, dass DDR-Erfahrungen gelehrt haben, wenig opportune Anliegen eben verklausuliert vorzubringen. Wer nicht hören wollte, dass auch Frauen zu Priesterinnen geweiht werden sollten, konnte dies, im musikalischen Bild geblieben, wunderbar «überhören».

Humor ist eine Art, Rückmeldung zu geben, Kritik zu üben, Alternativen zu skizzieren. Dabei ist ein Sowohl-als-auch lebensnäher als das Entweder-oder: Wo auf offiziellen Wegen nicht weniger als auf inoffiziellen Kritik geübt werden kann und darf, ist es gut bestellt um die Institutionen. Es ist nicht so, dass der subversive Humor nur und einzig seinen Platz hätte, wo es mit der Meinungsfreiheit nicht sehr weit her ist. Politisches Cabarett hat seine Bühne nicht allein im Untergrund. Als einer, der selber gelegentlich als Kirchen-Kabarettist auftritt, halte ich mich weder in diözesanen Gremien oder in Presseerzeugnissen mit Kritik zurück, noch verzichte ich auf bitterböse Pointen auf der Bühne, oder zeitkritischen Cartoons im Netz. Humor ist ein guter Weg, Fragen zu stellen oder Kritik zu üben, jenseits institutionalisierter Kanäle. Wenn es nicht NUR dabei bleibt, liegt durchaus ein wirkmächtiges Potential in dieser Art Humor, jenseits von Verharmlosung. Lachen durchschüttelt unseren Leib, und hoffentlich auch den Kopf, so dass neue Ideen auftauchen können. Lächerlichkeit hingegen wiese auf ein Grinsen auf den Stockzähnen, mit verschränkten Händen – ohne Durchschüttelung, Veränderung, Umkehrung. Humor will das Unterste zu Oberst kehren, Lächerlichkeit will Preis geben.

Auf die Früchte kommt es an

Exemplifizieren wir an den eingangs erwähnten Begebenheiten: Fast jede Zeitung ist auf der Suche nach einem aktuellen Aprilscherz. Auch Religion darf hierbei nicht von vorneherein tabu sein. Ein jesuanisches Kriterium hingegen möchte ich schon angewendet wissen: «An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.» Wem nützt das ganze, und vor allem, wem schadet es? Nachdem eine populistische rechtsbürgerliche Partei in der Schweiz seit Jahren mit Angstmache vor dem Islam erfolgreich auf Stimmenfang geht, wird es dem Aprilscherz mit dem Minarett ohne Moschee kaum gelingen, jene Kreise lächerlich zu machen. Im Gegenteil: Bestärkt werden Vorurteile und Ängste. Nachgerade, wenn diese Partei jüngst ein kantonales Verbot jeglicher neuen religiösen Bauten forderte, da schliesslich der Bedarf der Landeskirchen an kirchlichen Gebäuden gedeckt sei. Und was mich am meisten stört: Immer wieder spielt sie sich als Verteidigerin des «christlichen Abendlandes» auf. Damit ist die Verbindung gelegt zum anderen Themenfeld. Die westlichen Staaten verteidigen zu Recht die Meinungsfreiheit – manchmal aber so, dass das Gefühl auftauchen könnte, die Meinungsfreiheit sei der einzige westliche, «christlich-abendländische» Wert schlechthin. Wer das Wort «christlich» in den Mund nimmt, sollte doch auch jene jesuanische Werte mit bedenken, die da von Rücksichtnahme, Einfühlsamkeit, Toleranz handeln. Subversiver Humor richtet sich gegen die Mächtigen, wenn schon, gegen die Meinungsführer – und wird sich dort zurückhalten, wo es nicht um Selbstkritik geht, sondern um eine Art Eigentor. Der Aprilscherz mit dem Minarett fördert nicht das Anliegen der Berner Muslime, sondern leistet ihnen einen Bärendienst. Humor ist nicht per se subversiv, sondern kann auch destruktiv sein. Auf die Früchte kommt es an.

Götzendienst und Blasphemie

Darf über Religion gelacht, gespottet werden? Humor und Religion, wie geht das zusammen?
Diese Frage wird sich verschärft stellen, nach den Vorstössen des UNO-Menschenrechtsrats. Muhammad Kalisch, Professor für «Religion des Islams» der Universität Münster (Westfalen) plädiert für die ersatzlose Streichung des «Gotteslästerungsparagraphen» § 166 des deutschen Strafgesetzbuches . Muslime müssten lernen, mit Kritik umzugehen. Ohne dass damit nun einfach alles erlaubt wäre. Im gleichen Jahr erscheint in verschiedenen Pfarrblättern meines Bistums eine bischöflich Kolumne, die einen Blasphemieartikel für die schweizerische Gesetzgebung verlangt (!).

Die Frage wird sein, wer entscheidet, was blasphemisch ist, und was bloss geschmacklos. Einen Hauptunterschied für mich machte es schon, wer sich humorvoll über wen äussert: Wie beim erwähnten jüdischen oder klerikalen Witz gehen Spott und Pointe auf die eigenen Kosten. Humor im Dienste der Selbstwahrnehmung und Selbstkritik. Beim berüchtigten Karikaturenstreit, und der iranischen Gegenreaktion mit dem Holocaust-Cartoon-Wettbewerb (sic!), gingen die «Lacher» (so es überhaupt etwas zu lachen gegeben hätte) auf Kosten anderer. Ob ich mich liebevoll über die eigene Religion und deren irdische Vertreterschaft lustig mache, oder die anderen auslache und erniedrige, ist ein himmelweiter Unterschied.

In der jüdischen Tradition gibt es die Idee der «Sieben noachidischen Gebote», einer Art Grundcodex für die gesamte Menschheit. Dazu gehören Standards wie keine Tierquälerei, nicht morden und nicht stehlen, etc. – aber immerhin volle zwei von nur sieben Artikeln betreffen den Gottesumgang: Das Verbot von Götzendienst und Blasphemie. Ich habe mich oft gefragt, ob das nicht zu gewichtig sei; sprich, ob nicht EIN Gottesgebot als Minimum vollauf gereicht hätte. Erst beim Karikaturenstreit war mir die Differenz aufgegangen. Das Verbot von Götzendienst würde ich als «interne», jenes der Blasphemie als «externe» Regel deuten. Kein Götzendienst hiesse, nicht einzelne Werte auf Kosten anderer zu vergötzen, ob den selbstregulierenden Markt, der dann keinen Widerspruch dultete, ob die Meinungsfreiheit, die dann das Recht auf Verunglimpfung und Verleumdung hätte. Kein Götzendienst: Keine Verabsolutierung einzelner Grössen losgelöst vom Gesamtzusammenhang, und natürlich keine anderen Götter neben Gott, ob Mammon, ob Gesundheit, ob Wachstum um jeden Preis... Der «interne» Gottesumgang betrifft demnach das eigene Verhältnis zu Gott. Der «externe» Gottesumgang beträfe das, was anderen heilig ist. Minimalste interreligiöse Toleranz wäre also gefragt – und zwar, was ich dem anderen an der Andersheit seiner Gottesvorstellung belasse, und erst dann, allerhöchstens in zweiter Linie, wo ich meine, meinen Gott in Schutz nehmen zu müssen. Nur allzu leicht machen wir uns ja ungefragt zu Verteidigern Gottes. Gerade Ausschreitungen religiöser Fanatiker zeigen, wohin mangelnder Grossmut und (was immer auch mit Humor zusammenhängt:) zu geringe Gelassenheit hinführen: Mann (etwas seltener auch Frau) will sein Gottesbild rächen, und vergeht sich am wahren Bildnis Gottes, seinem Ebenbild, dem lebendigen Menschen.

Zu jeder Macht gehört ihre Infragestellung durch Witz und Humor. Humor und Witz hierbei nicht ausgenommen. In den Details aber werden die Empfindlichkeiten immer unterschiedlich sein, die Geschmäcker verschieden. So halt, wie es das Lachen gibt, das mich durchschüttelt, oder jenes, das mir im Hals stecken bleibt.

In: lamed. Zeitschrift für Kirche und Judentum. Zürich 1/2006 S.4-11, siehe vor allem S. 6

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