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Peter Wittwer, Bist du es? Fragen an Jesus von Nazareth. Mit einem Vorwort von Ingrid Grave   

Buch des Monats April 2007

Peter Wittwer hat in seinem letzten Pfarrerjahr in der Zürcher Predigerkirche eine Predigtreihe zu der doch so wichtigen Frage: «Wer ist Jesus?» gehalten. Vom 1. Advent bis zum Ewigkeitssonntag hat er in 41 Zugängen eine Summe seines eigenen Nachdenkens, Betens und Meditierens über Jesus von Nazaret und seine Bedeutung für den christlichen Glauben vorgelegt.
In einer Zeit, in der es wieder hoffähig geworden ist, sich um die Frage nach dem «Menschen» Jesus von Nazaret herumzudrücken und alle diejenigen einer «horizontalen Theologie» verdächtigt werden, die das Geheimnis des Gottessohnes offen halten wollen, ist Peter Wittwer ein höchst bemerkenswertes und Mut machendes Buch gelungen:
«Er (Jesus) ist der Christus, er ist der Gottessohn, der Erlöser, der Heiland – das sind alles Worthülsen, aber keine Antworten auf unsere Frage.» (11) Antworten sucht Wittwer bei seinem «Rabbi», seinem «Bruder», dem «Propheten» Jesus, der die «Zeichen der Zeit» zu deuten wusste (9). Wer nun aber meint, herauskäme dabei eine «flache» Theologie, sieht sich eines besseren belehrt. Nicht weil er über das göttliche Geheimnis nicht reden will, beantwortet er die Fragen nach dem Christus und Gottesohn nicht in der traditionellen Art und Weise, sondern weil die Beantwortung solcher Fragen unsere menschlichen Möglichkeiten schlicht übersteigt, ja Hybris wäre. In einer brillanten Auslegung der «Sprachlosigkeit des Zacharias» (Lk 1,5-25) kann er zeigen, dass es Fragen gibt, die angesichts des Geheimnisses Gottes besser zu lassen sind: «Lass das Geheimnis ein Geheimnis sein. (…) Begnüge dich damit, den Menschen Jesus aus Nazareth zu erkennen. Mehr kannst du nicht, mehr darfst du nicht. Rührst du am Göttlichen, so wird dir deine Sprachlosigkeit zur Antwort werden.» (14) Und die Konsequenz daraus: «Wir haben auf die Füsse des Jesus zu schauen, wohin er gegangen ist und wo er verweilt hat. Wir haben auf seine Hände zu sehen, wen er berührt und aufgerichtet, wen er geheilt hat. Wir haben auf seinen Mund zu schauen, seine Worte zu hören, seinen Atem zu spüren.» (15)
Diesen Weg in den Fussspuren Jesu geht Wittwer mit seinen PredigthörerInnen. In diesem Durchgang durch die Texte des Neuen Testaments entfaltet er in immer neuen Variationen den Vers aus dem Lukasevangelium, der ihm selbst zum Schlüssel geworden ist: «Das Reich Gottes ist mitten unter euch» (Lk 17,21). Wenn man diese Aussage wirklich ernst nimmt, entstehen sehr viele Fragen. Wittwer weicht diesen Fragen nicht aus: «Warum richtet die christliche Kirche ihr Augenmerk immer nur auf das Ende (Jesu), fast nie auf den Anfang?» (26). «Den Schlüssel zu Jesus finde ich nicht am Karfreitag, ich finde ihn an Epiphanie. (…) In Jesus aus Nazareth ist Gott sichtbar geworden. Wir können einem Menschen ins Gesicht sehen und Gott schauen. (…) Die Predigt des Jesus verlangt meine Umkehr. Sie macht Gottes Erscheinung von mir abhängig. Meine Art zu leben entscheidet über die Epiphanie Gottes in dieser Welt. Ein verrückter Gedanke – wenn ich ihn in seiner Tragweite zu ermessen vermag.» (28)
Seite für Seite lernen wir in diesem Buch die Theologie Peter Wittwers und seinen Zugang zu Jesus von Nazareth kennen. Er räumt auf mit schrägen Gottesbildern wie dem vom «lieben Gott» (33 u. ö.), mit einem «den Kindern übers Haar streichelnden und die Alten und Schwachen vertröstenden Heilandes» (28), mit der Vorstellung, Jesus sei gekommen um zu sterben: «Jesus will nicht sterben, wie kein Mensch sterben will. Aber er will gehorsam sein. Gehorsam gegenüber jenem Lebensauftrag, der ihm bei der Taufe durch Johannes so plötzlich und unvermittelt klar geworden ist.» (48) Daraus folgt: «Das Kreuz auf Golgatha hat nur dann einen Sinn, wenn es als Teil des Lebens des Jesus aus Nazareth gesehen wird.» (49) Es scheinen nur Nuancen zu sein, die Wittwers Reden von der Sprache traditioneller Theologie unterscheiden, und doch sind diese Nuancen unendlich wichtig: «Mit Recht (…) haben in ihm (Jesus) die jungen Christengemeinden ihren Messias, ihren Christus gefunden. Nicht wegen dem Kreuz, sondern mit dem Kreuz.» (50)
Oft sehr ungeschminkt beschreibt Peter Wittwer seine Leseerfahungen, die wahrscheinlich auch diejenigen der meisten unvoreingenommenen LeserInnen sind – soweit sie nicht theologisch «verbildet» sind. Die johanneische Passionsgeschichte, gelesen am Karfreitag, erscheint ihm als «Drehbuch für einen rassistischen Film. Die menschenverachtenden Juden als Hauptdarsteller: die Gottesmörder. In der Nebenrolle dieser harmlose Pilatus …» (53). Mel Gibson hat in seinem Film «The Passion of the Christ» erst unlängst bewiesen, dass man das Johannesevangelium tatsächlich so lesen kann, mit den bekannten und verheerenden Folgen. Die Konsequenz daraus müsste nun aber doch sein, dass die Kirche diese Leseerfahrungen ernst nimmt und in der nötigen Schärfe korrigiert. Dazu verhilft der unverstellte Blick des Bibellesers Peter Wittwer, der es offensichtlich zu vermeiden wusste, in die weit verbreitete theologische Betriebsblindheit zu verfallen, die die Aussenwelt und ihre Fragen gar nicht mehr wahrnimmt.
Ich selbst habe dieses Buch mit grossem Gewinn gelesen und vor allem immer wieder Formulierungen gefunden, die (eigentlich komplizierte) theologische Sachverhalte gut auf den Punkt bringen ohne zu simplifizieren oder gar zu banalisieren. Wie jedes gute theologische Buch ist auch Wittwers Buch anspruchsvoll. Nur besteht sein Anspruch nicht darin, komplizierte theologische Gedankengänge noch komplizierter zu machen und die dahinter stehende «Sache» zu vernebeln, sondern uns als LeserInnen mitzunehmen auf diesen Weg mit Jesus von Nazareth: «Lebe so, dass die Menschen an deiner Seite es an deinem Gesicht ablesen können: Du glaubst daran, dass Gottes Reich unwiderrufbar angebrochen ist.» (31) Wenn das nicht anspruchsvoll ist!

Dieter Bauer

Peter Wittwer, Bist du es? Fragen an Jesus von Nazareth. Mit einem Vorwort von Ingrid Grave, (Paulusverlag Academic Press) Fribourg 2007, 132 S., Geb., 28,00 sFr / 17,50 Eur[D]
ISBN : 978-3-7228-0705-8

Erhältlich im Buchhandel.

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