Wir beraten

Kathy Reichs, Totgeglaubte leben länger   

Buch des Monats Februar 2006

Kathy Reichs, Totgeglaubte leben länger, Karl Blessing Verlag München 2005, ISBN 3-89667-288-6

Ein Krimi als bibelpastorales Buch des Monats?

Noch dazu ein Thriller aus der Serie um die Gerichtsmedizinerin und forensische Anthropologin Temperance Brennan, die im kanadischen Montreal arbeitet und bei der ausführliche Schilderungen von Obduktionen und Verwesungsprozessen an der Tagesordnung sind? Warum nicht. Immerhin reist Tempe Brennan in diesem Roman von Montreal nach Israel und immerhin spielt ein Skelett aus einer archäologischen Grabung eine Rolle. Und schliesslich: wer sagt denn, dass Bücher, die Lust auf die Bibel machen, nicht spannend sein dürfen? Die Bibel selber ist es ja auch.

Ein Krimi im Krimi

Also, weil es sich um einen Krimi handelt, wird die Auflösung des Falles hier nicht verraten, aber immerhin soviel: Im Zusammenhang mit einem seltsamen Todesfall, zu dessen Aufklärung Tempe Brennan beigezogen wird, taucht das Foto eines Skeletts auf, das aus Israel stammen soll. Es handelt sich um einen Schnappschuss aus einer archäologischen Grabung. Ein befreundeter Archäologe weist das Foto den Grabungen von Yigael Yadin in Massada zu. An dieser Stelle informiert der Roman spannend und sachkundig über den jüdischen Krieg, die Belagerung und Eroberung Massadas durch die Römer und die Ausgrabungsgeschichte im Spannungsfeld von Wissenschaft, Religion und Politik (S. 51ff.). Das ist beinahe wie ein Krimi im Krimi.

Jesus in Massada?

Auf den Spuren des Skeletts aus Massada (für Kenner der Ausgrabungsgeschichte: es stammt aus den sogenannten Loci 2001/2002) stösst Tempe Brennan auf ungelöste Fragen und gewagte Theorien, so die des australischen Journalisten Donovan Joyce, der in den 70er Jahren mit seinem Buch «The Jesus Scroll» für Aufsehen sorgte. Danach sei bei den Ausgrabungen in Massada auch eine Schriftrolle mit dem Testament des «Jesus, Sohn des Jakobus» entdeckt worden. Dieser Jesus sei der Jesus von Nazaret des Neuen Testamtes, der keineswegs am Kreuz, sondern in Massada gestorben sei. Im Roman verdichten sich die Hinweise darauf, dass das gefundene Skelett das von Jesus von Nazaret sein könnte. Selbstverständlich, dass jetzt die religiöse Brisanz des Falles deutlich wird – Jesus in Massada, das wäre für Juden und Christen nur schwer zu akzeptieren. Die Konsequenzen einer solchen Entdeckung auf dem Hintergrund der aktuellen Situation des Judentums, des Christentums und des Islams werden diskutiert (110ff.). Der Islam kommt dabei am schlechtesten weg, auch wenn er überraschend differenziert dargestellt wird (etwa durch die Unterscheidung des Wahhabismus als nur einer – wenn auch wirkmächtigen Strömung im Islam).

Das Jakobus-Ossuar

Der seltsame Todesfall, den Tempe Brennan untersucht, erweist sich schliesslich als Mord, das Mordopfer als Händler mit jüdischen und nicht immer ganz echten Antiquitäten. Brennan reist zusammen mit ihrem Kollegen von der Mordkommission, Detective Ryan, mit dem sie auch privat liiert ist, zu weiteren Ermittlungen nach Israel. Jetzt kommt auch noch das sogenannte Jakobus-Ossuar ins Spiel (171ff.), das 2002 für grosse Aufregung sorgte. Dieser Gebeinkasten mit der Aufschrift «Jakobus, Sohn des Josef, Bruder des Jesus» wurde zunächst auch von renommierten Archäologen der Israelischen Behörde für Altertümer und Archäologie für echt gehalten, inzwischen ist die Inschrift aber als Fälschung entlarvt (vgl. Welt und Umwelt der Bibel 1/2003 S. 47 und 4/2003 S. 59-60). Reichs Roman benennt die Kontroverse um das Jakobus-Ossuar, wägt die Für und Wider seiner Echtheit differenziert und spannend ab und spielt mit der Möglichkeit, es wäre wirklich ein Fund aus der Familie des Jesus von Nazeret. Dabei beweist Reichs bei der Frage nach den Brüdern und Schwestern Jesu gute Bibelkenntnisse (S. 191). Die spektakuläre Szene eines Grabfundes im Kidron-Tal und die gewalttätige Begegnung mit ultra-orthodoxen Juden, die das Ausgraben von Knochen verhindern wollen ist vielleicht etwas zu dick aufgetragen (196ff.), genauso wie die Texte auf dem Umschlag: «ein abgründiges Geheimnis, das älter ist als die Bibel. Es könnte die Grundpfeiler der jüdischen und christlichen Glaubensgeschichte erschüttern». Wohltuend dagegen die Selbstironie im Buch: «Du klingst wie eine Figur aus Sakrileg» (191).

Fiktion oder Wahrheit?

Es stellt sich natürlich hier wie bei anderen romanhaften Auseinandersetzungen mit biblischen Themen, was historisch verbürgt ist und was Fiktion. Kathy Reichs führt im Anhang ihres Buches die Tatsachen an (S. 409-412), hält die Frage nach der Echtheit des Jakobus-Ossuars allerdings geschickt offen, indem sie schreibt: «Die Experten sind weiterhin uneins». Je besser ich mich im Sachgebiet auskenne, desto leichter kann ich mir meine eigene Meinung bilden. Der Krimi regt aber auf jeden Fall dazu an, mehr wissen zu wollen und zum Beispiel in Welt und Umwelt der Bibel nachzulesen. Das macht ihn für mich zum bibelpastoralen Buch des Monats.

Archäologie, Heiliges Land und Erotik

Die Auflösung des Kriminalfalls wird wie gesagt hier nicht verraten. Lesen Sie selbst. Reichs Roman ist einiges mehr als ein spannender Krimi. Er ist auch eine spannende Schilderung und Auseinandersetzung mit Methoden der biblischen Archäologie (z.B. der Altersbestimmung von Fundstücken), ihren Möglichkeiten und Grenzen. Er berichtet wunderschön von den besonderen Gefühlen, die eine Reise nach Israel und Jerusalem auslösen kann und ist nicht zuletzt eine herrlich witzige und erotische Beziehungsgeschichte zwischen Temperance und Ryan.

Peter Zürn

2024 | 2023 | 2021 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 | 2013 | 2012 | 2011 | 2010 | 2009 | 2008 | 2007 | 2006 | 2005