Wir beraten

Reza Aslan, Zelot. Jesus von Nazareth und seine Zeit   

Buch des Monats

In Europa ein etwas geringerer Medienhype als in den USA, aber doch noch gleichenjahrs ins Deutsche übersetzt. Ein weiteres Jesusbuch. Warum der Wirbel im Feuilleton und in Talksendungen? Da schreibt ein Muslim ein Jesusbuch. Was soll einem da aufschreien lassen (vor allem jene ennet des Teichs)? Erstens gibt es ja auch das umgekehrte, und das weit zahlreicher: Bücher über Mohammed aus christlicher Feder. Und zweitens gehören die Jesusgeschichten ja durchaus auch zur islamischen Überlieferungs- und Erzählkultur. Allerdings dürften sich, wenn schon, eher muslimische LeserInnen wundern als christliche: Denn Aslan deutet durchaus vor dem biblisch historischen Hintergrund, nah an historisch-kritischer Exegese, wer es nicht wüsste, vermutete kaum seinen religiösen Hintergrund. Einzig spürbar: Aslan teilt nicht den dogmatischen glaubensmässigen Hintergrund, wie dieser meist (gewohnheitsmässig / unreflektiert) da ist. Und das kann durchaus etwas Erfrischendes haben – oder Freches, je nach persönlicher Empfindlichkeit.

Eine Parallele zum fehlenden innerchristlichen Hintergrund: Persönlich habe ich viel Neues gelernt zu Jesus in Werken jüdischer Wissenschafter (etwa Geza Vermes, den Aslan nebst vielen andern kontrovers diskutiert). Fremde Augen sehen oft ander(e)s als der eigene (gläubige) Blick. Bei Aslan ist meine Wahrnehmung allerdings doch eine andere – eine stilistische! Das Buch atmet einen anderen akademischen Geist als das hierzulande vertraute theologische, exegetische Reflektieren. Zwar lehrt er am Religions-Departement der University of California, Riverside – aber als Professor of Creative Writing. Und es ist in der Tat ein Genuss, längst Vertrautes wieder neu und anders zu lesen. Wohl lenkt er den Blick auch auf kleine, eher unerwartete und unbekanntere, Details, die im Einzelfall auch bestritten werden mögen – aber es ist dann das ausgeleuchtete Gesamtbild, welches einem das Jesusbild in andern Farben wieder-sehen lässt, als sonst gewohnt. Einzelne Details mögen, wie gesagt, bestritten werden (S. 154/156 «macht Jesus [in Mt 8,2-4] einen Witz» und Aslan unterstreicht darum S. 156 eine Heilung OHNE OPFER, während er das Evangelium korrekt zitiert: «und bring das Opfer das, das Mose angeordnet hat»), aber die Beobachtungen regen gleichwohl zum Weiter- oder Andersdenken an.

Einen anderen akademischen Geist atmet das Buch auch insofern, dass keine Anmerkungen den Lesefluss stören, sondern jedem Kapitel am Ende des Buches eine Art Anmerkungsteil folgt. Aber auch das als Fliesstext, denn es werden nicht einfach Bestätigungen gelistet, sondern verschiedene Positionen kontrovers diskutiert. Nebst den bekannten Namen deutschsprachiger Exegeten eine glänzende Möglichkeit, einmal etwas zeitgenössische (und historische) angelsächsische Exegetenzunft kennen zu lernen.      

Nochmals zum ausgeleuchtete Gesamtbild, das alles in andre Farben als die gewohnten taucht: Aslan unterscheidet wie andre den historischen Jesus (Jesus von Nazareth) vom Christus des Glaubens (Jesus Christus). Nur tut er dies messerscharf, in Argumentation und Formulierung. Hier ist vielleicht am ehesten ein Bezug zum Islam: Nicht in der Art koranischer Jesus-Interpretation, sondern sozusagen im Herausschälen eines semitischen Kerns aus hellenistisch-griechisch-römischer Überformung. Bedenkenswert die Beobachtung, dass der erste christliche Märtyrer ausgerechnet einer war, der Jesus nicht zu seinen Lebzeiten gekannt hatte. Stephanus. Der nun wirklich wegen Blasphemie gesteinigt wurde, kaum dass er den Messias-Jesus quasi zum Gott-Menschen umformuliert. Aslan spitzt zu: Mit Stephanus liege auch die letzte Spur des historischen Jesus von Nazareth unter dem Steinhaufen begraben (S. 216).  

Vieles schon Gewusste, Kritisierte, Problematisierte, zigfach bezeugt in Referenzen auf christliche Theologen – das alles mag in so konzentrierter, ungeschönter Zusammenstellung die eigene Christologie gleichsam etwas ankratzen. Aber Aslan hütet sich, die Folgegeschichte zu disqualifizieren. Es mag, auch was historisch nicht verifizierbar ist, nicht verifizierbar sein kann, wie etwa die Auferweckung, gleichwohl historisch Wellen geschlagen haben. (Dies würde ich dort ins Spiel bringen, wo punkto Islam eben auch vermehrt unterschieden wird: zwischen dem, was historisch überhaupt zum Propheten wissbar ist, und dem, was sich im Gegensatz zur geschichtsmächtigen Prophetenlegende gewachsen hat…).

Zu den Kindheitsevangelien sagt der persischstämmige US-Amerikaner treffend: «Es war für einen Autor in der antiken Welt völlig normal – ja man erwartete es sogar von ihm –, dass er Geschichten über Götter und Helden erzählte, deren fundamentale Fakten man als falsch erkannte, deren tiefere Botschaft man jedoch als wahr ansah.» (S. 64). Insofern müssen historische Anfragen keine Infragestellung des Glaubens sein, sondern gehören zur redlichen intellektuellen Auseinandersetzung. Es sei mir gestattet, dass ich mir ein solche manchmal vermehrt wünschte, wo es nicht nur um die Geburtswehen des Christentums geht, sondern auch um Anfragen an die Vor- und Frühgeschichte des Islams, oder um innerislamische Debatten…

Etwas unglücklich mag der Titel sein. Mit «Zelot» meint Aslan ausdrücklich nicht die später sogenannten Zeloten. Aber erinnert daran, dass er wie sein Namensvetter und -vorbild Josua im besten Sinn eine Kämpfernatur war. Wie im Untertitel «Jesus von Nazareth und seine Zeit» gesagt wird im ersten Hauptteil das zeitliche Umfeld packend erzählt, und Jesus taucht nur knapp und kurz auf. Der mittlere Teil dann zoomt dann gleichsam Jesus von Nazareth heran, während der dritte Teil schliesslich skizziert, wie es weiterging. Säuberlich wird aufgetrennt, was an Strömungen, Theologien und Streit da war. Die frühe Kirche war eben nicht ein Herz und eine Seele, wie das gerne vor Augen gemalt wird. Der Autor trennt aber nicht nur die verschiedenen Strömungen auf, sondern wertet (zu Recht) die Position des Jakobus gegenüber jener des Paulus auf. Das spiegelt die Aufwertung von Jesus dem Menschen – gegenüber der Deutungsgeschichte von Jesus als Christus. Eine Position, eine Akzentverschiebung, wie sie mehr und mehr auch auch zeitgenössischen ChristInnen einleuchtet. Dabei heisst Aufwertung aber nicht, dass die andere Position dadurch abgewertet wird, es soll einfach der Blick auf Vernachlässigtes gewendet werden. Das Buch endet mit denn auch mit einem schönen Dreh:

«Jesus von Nazareth – Jesus der Mensch – ist eben so fesselnd, charismatisch und bewundernswert wie Jesus der Christus. Er ist, kurz gesagt, jemand, an den es sich zu glauben lohnt.» (268)              

 

Dr. Thomas Markus Meier, Präsident des Diözesanverbandes Basel und Mitglied im Zentralvorstand des SKB

 

Diese Buchbesprechung ist ein Vorabdruck aus dem nächsten Rundbrief der «Gemeinschaft Christen und Muslime der Schweiz»

Reza Aslan, Zelot. Jesus von Nazareth und seine Zeit. Rowohlt Verlag 2013, 384 Seiten. CHF 34,90 ISBN3-498-00083-7

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